Qi – aus Sicht der chinesischen Philosophie

Der Begriff Qi ist der grundlegende Begriff der chinesischen Philosophie. Er findet sich deshalb natürlich auch in der Terminologie der Chinesischen Medizin (CM) wieder und beherrschte dieses Konzept über die Jahrtausende.

Qi ist Bestandteil aller Prozesse im Kosmos, auf unserer Erde und damit auch im Menschen. Selbst die Materie benötigt Qi, um Abläufe, bis hin zur atomaren Ebene zu steuern. So wird Qi überall benötigt und ist demzufolge an allen Vorgängen im Universum beteiligt. Qi umfasst nach der Definition der alten Taoisten drei Ebenen. Das grobstoffliche Jing, das feinere Qi und schliesslich das völlig immaterielle Shen. Diese drei Grundsubstanzen werden in China aufgrund ihrer Wichtigkeit als die drei Schätze San Bao bezeichnet. Die drei Schätze sind im Moment der Geburt rein und unverdorben. Wenn wir uns ins Leben begeben, werden diese Grundsubstanzen durch unsere Interaktion mit der materiellen Welt «unrein». Das ist so zu verstehen, dass die Essenz dessen, was in der Empfängnis in uns inkarniert ist, nun durch den Kontakt mit der materiellen Aussenwelt interagiert. Die Energie wird sozusagen «unrein», weil die Schwingung der Materie niederer ist. Das sollte aber nicht generell als Negation verstanden sein, denn erst die Interaktion mit der Materie ermöglicht es uns, uns weiterzuentwickeln. Trotzdem wendet sich der Mensch notgedrungen dem Leben und damit der Materie zu und verliert oft völlig den Kontakt zum Shen. Mit der Zeit wird er immer mehr mit der «groben, ungesunden Energie» der Materie befallen, «…so dass der Tod nur eine Frage der Zeit ist…».

Philosophie und Medizin

Die chinesische Philosophie, die folgerichtig deshalb immer tief mit einer energetisch orientierten Medizin verbunden war, ersann nun Techniken, welche dazu dienten, die innewohnenden Energien zu sammeln und zu veredeln. Denn nur über therapeutische Massnahmen lässt sich das Qi im Sinne innerer alchemistischen Prozesse wieder reinigen und weiter veredeln. Diesen Prozess nennt man das «Sammeln der drei Blumen» oder «Drogen im Kessel». Der Kessel ist hier der Körper, der aber auch als alchemistisches Gefäss zu verstehen ist, indem das «Lösen und Binden» stattfindet. Die drei Schätze sind daher keine materiellen Dinge, sie sind vielmehr Bestandteile des Tao und damit Teil der einen Urenergie.

JING

Jing ist die Mutter des Qi. Es ist die Essenz, das Strukturpotential, welches das Fundament aller energetischen Prozesse darstellt. Die Eltern liefern die angeborene Essenz und durch Atmung und Nahrungsaufnahme kommt die nachgeburtliche Essenz dazu. Kann der Körper kein Jing mehr bilden, dann sterben wir.

QI

Qi wird in alten taoistischen Texten als Harmonie polarer Gegensätze dargestellt. Das JING wird im QI aufbewahrt und sie trennen sich nur durch Menstruation, Samenerguss, Verletzungen oder zehrende Krankheit voneinander. QI hat die Aufgabe, die lebendigen Prozesse in «der (göttlichen) Ordnung» zu halten. Es sorgt deshalb für Ausgleich von Yin und Yang / Leere und Fülle und vernetzt die Ebenen von Körper, Seele und Geist. Das QI wird in der Chinesischen Medizin wieder in verschiedene Kategorien eingeteilt. Die wichtigsten sind:

  • Ying Qi: Nährendes Qi
  • Wei Qi: Abwehr- oder schützendes QI
  • Zheng Qi: Gesunderhaltendes QI

SHEN

Hier treffen wir auf die Energiequalität, die seelische und besonders geistige Funktion beinhaltet. SHEN hilft uns dabei, die Welt zu verstehen und dadurch mit ihr bewusst zu interagieren. Hier sind nicht (nur) rationale Prozesse gemeint, sondern das Erfassen der Sinnhaftigkeit (die Ideenlehre Platons ist hierfür ein gutes Bild) der uns tangierenden Ereignisse und Dinge. Auch SHEN drückt sich in verschiedenen Formen aus, die aber nur in ihrer Gesamtheit als SHEN – GEIST zu verstehen sind!

  • Hun: Seele
  • Shen: Geist
  • Yi: Denken
  • Po: Körperseele (reguliert die physiologischen Prozesse)
  • Zhi: Wille

Der natürliche Weg des SHEN ist der des DAO (siehe hierzu Du Mai115). Hier geht es um das Wu Wei, des «geschehen lassens» dessen, was natürlich und in der Ordnung ist und was ohne Egoabsicht gefärbt ist. Das SHEN ist ein zentraler Begriff in der Chinesischen Medizin, weshalb im Gelben Kaiser zu lesen ist:

Su Wen Kap. 62: „Wenn Shen in Fülle ist, lacht der Patient unaufhörlich, wenn Shen in Leere ist, ist er traurig“

Die Aussage ist nicht nur als Hinweis zur Pathologie zu sehen (Feuer ist die Grossmutter des Metalls), sondern auch als Fingerzeig, dass wenn SHEN eine Störung hat, das gesamte System in Mitleidenschaft gezogen werden kann.

Und im Lin Shu Kap. 8: «Beim Nadeln muss man zuerst die Wurzeln im Shen suchen.» Das meint, dass die Therapie immer auf die Regulation des Shen und damit auf den Auftrag (siehe Konstitutionskurse Lehrinstitut Radloff) ausgerichtet werden muss.

Nei Jing Tu

Ich habe das Menschenbild der chinesischen Philosophie und der Chinesischen Medizin schon des Öfteren beschrieben. Der Mensch steht zwischen Himmel und Erde und stellt gleichzeitig das Abbild von Mikro- und Makrokosmos dar. Das Tao und das Qi können aber nur dann harmonisch zwischen Himmel, Mensch und Erde zirkulieren, wenn die dafür vorgesehenen Energiekanäle, die Leitbahnen der 8 Ausserordentlichen Gefässe, Nebengefässe und die regulären Meridiane in ihrer Funktion nicht eingeschränkt sind. Bestehen hier Störungen, kann dies zu körperlichen, emotionalen und geistigen Störungen führen. Einen möglichen Zugang zu diesen «Leitbahnen» bieten Techniken wie die Akupunktur, Tuina oder natürlich die APM Radloff.

_______ Himmel

_______ Mensch

_______ Erde

Die Trigramme (Himmel, Mensch, Erde) des Taoismus weisen immer auch auf die Dreiheit hin. Hier steht der Mensch (Mitte) zwischen Himmel (oben) und Erde (unten).

Grundlegend für das Zirkulieren von Qi durch den menschlichen Organismus ist die Funktion des kleinen himmlischen Kreislaufs. Bei diesem Kreislauf handelt es sich um die lebenswichtige Zirkulation von Yin und Yang Qualitäten in den ausserordentlichen Gefässen von Ren Mai und Du Mai. Die Karte des «Inneren Gewebes – Nei Jing Tu» ist ein Abbild der damit verbundenen komplexen Vorgänge. Für den nach Weisheit (der höchsten Tugend im Wandlungsphasenkonzept) strebenden Taoisten, gibt es die Möglichkeiten der inneren und äusseren Alchemie. Die äussere Alchemie bezieht sich auf Elixiere, die vom Suchenden hergestellt und dann eingenommen werden, um das Leben zu verlängern. Diese sollte ursprünglich aber nur dazu dienen, dass dadurch mehr Lebenszeit für die Arbeit und für die innere Alchemie bleibt. Die innere Alchemie zielt auf die Unsterblichkeit des Geistes SHEN. Hierfür wurden verschiedene Techniken entwickelt.

  1. Meditation
  2. Innere Umwandlung
  3. Atemtherapie
  4. Bewegungstherapie
  5. Kampfsporttechniken
  6. Speichelschlucken und Zähneklappern (siehe hierzu Brokatübungen)
  7. Kontrolle der Sexualität
  8. Techniken von Trance und Ekstase

Solche Techniken treffen wir in jeder Kultur an, denn das Wissen um die Unsterblichkeit der Seele und der damit verbundenen Aufgabe der Entwicklung derselben, war natürlich jedem Kulturkreis bekannt. Absicht war es also, die Vervollkommnung der Seele voranzutreiben, um die Inkarnationsschleife (Ausstieg aus dem Rad der Wiedergeburt) zu durchbrechen. Später wurde diese Sichtweise in China durch den Buddhismus weiter bestätigt und auch so beschrieben.

Nachbetrachtung

Die Energieformen, sprich die drei Schätze, sollten, so die Lehre der chinesischen Philosophie, also bewahrt und kultiviert werden. Die ursprüngliche Absicht der Chinesischen Medizin diente deshalb in erster Linie dazu, dass diese Energieformen einer gezielten Behandlung und Pflege unterworfen wurden, um die oben beschriebenen Prozesse der inneren Entwicklung voranzutreiben. Dass körperliche Störungen ebenfalls damit behandelbar wurden, zeigt, dass Krankheit immer auch ein Ausdruck gestörter Bewusstseinsprozesse ist.

Der Begriff QI hat in der Chinesischen Medizin demnach einen weitaus tiefer gehenden Bezug zum menschlichen Sein. Er geht damit selbstverständlich weit über die normalerweise beschriebene Beschreibung seiner Funktion auf der Leitbahnebene hinaus. Trotzdem ist die Pflege der Leitbahnfunktion eine der Voraussetzungen, um diese Prozesse zu ermöglichen. Auch aus dieser Betrachtung ist unsere Methode der APM Radloff deshalb ein wertvoller Beitrag für den Patienten, denn wir ermöglichen dem System besser auf eventuelle Bewusstseinsvorgänge zu reagieren. Es ist fast tragisch, dass dieses Wissen in China weitgehend verloren war und eigentlich erst durch Sinologen wieder ins Bewusstsein unserer Zeit gerückt ist. (Reinhard Bayerlein)